Gestern fuhr ich also mit dem ICE in eine grössere deutsche Stadt. Ich hatte mein Covid-Zertifikat dabei. Grenzkontrollen gab es keine. Ich bin beruflich unterwegs. Der Empfang in der Institution war gut, ich konnte meine Arbeit erledigen und werde sie heute fortsetzen. Als ich gegen 19 Uhr ins Hotel kam, stellte sich heraus, dass in Deutschland die Antigen-Schnelltests nur 24 Stunden lang gültig sind, während sie in der Schweiz für 48 Stunden gelten. Die Rezeptionistin war erst unsicher, ob sie mich jetzt reinlassen dürfe oder zum Testen schicken müsse. Schliesslich, nach Rücksprache mit ihrer Kollegin, liess sie mich rein.
Ich merkte, wie ich labil wurde. Es war eine erste wirklich konkrete Konfrontation mit der neuen Realität, in der mir der Zugang zu Unterkünften verweigert wird, wenn ich nicht zertifiziert bin. Ich ging dann etwas essen, und mir wurde klar, dass ich draussen würde essen müssen, da ich zu einem Restaurant ebenso keinen Zugang hatte. Ich fand ein libanesisches Restaurant, in dem ich wirklich sehr feine Mezze bekam.
Es ist ein Schatten, der jetzt über unser aller Alltag liegt. Vorgestern traf ich zufällig eine Freundin im Zug, die - wenn ich es richtig verstanden habe - geimpft ist. Sie sagte, dass für sie bzw. für viele Geimpfte dieser Schatten genauso da sei. Wir versuchen, normal weiterzuleben, das Schöne zu geniessen, und da ist immer dieser drohende Schatten, der hinter jeder Ecke lauert. Alle haben Angst, dass es noch schlimmer wird, dass die Massnahmen noch verstärkt werden und es zu Unruhen kommen wird.
Oft muss ich über den Gedanken des "Glaubenskrieges" nachdenken, den ich in einem früheren Blogbeitrag dargestellt habe. Mehr und mehr werde ich überzeugt, dass es letztlich wirklich darum geht. Nur dass es heute nicht Priester in schwarzen Gewändern sind, die den wahren Glauben verkünden und die Hexen und Ketzer anprangern, sondern PolitikerInnen und ExpertInnen in weissen Kitteln. Und wie die Glaubenskriege früherer Jahrhunderte, so bringt auch dieser alles mögliche hervor: Solidarität und Menschlichkeit, aber auch Härte, Grausamkeit und Unverständnis. Ich gebe es zu: manchmal gibt es Momente, in denen ich mich fürchte. In denen ich nichts sehnlicher wünschte, als irgendwo an einem heilen Ort in Frieden leben zu können.
Wenn doch nur jeder seinen Glauben leben dürfte, so wie sie und er es für richtig hält. Ich unterstütze ja alle, die die Impfung für sich haben wollen, und finde, dass sie sie haben können sollen. Nur ich will sie eben nicht, und auch ich will ein Teil der Gesellschaft sein.