Schnellschüsse

Heute morgen sah ich auf einer Social Media Plattform ein Post. Es war ein Artikel auf der Webseite republik.ch, der sich mit der Situation des Pflegepersonals befasste. Der Titel des Posts lautete: „Viele Pflegende brauchen jetzt noch mehr Kraft als zuvor, weil sie wissen: Es müsste nicht sein“. Illustriert war der Artikel mit einer finster dreinschauenden Pflegeexpertin des Universitätsspitals Zürich.

 

Die Aussage des Titels schien mir klar: wenn sich die Leute impfen liessen, würden sie nicht an Covid erkranken, und das Pflegepersonal wäre weniger gefordert, sowohl emotional wie auch körperlich. Jede*r, der/die sich nicht impfen lässt, ist egoistisch, weil er oder sie riskiert, auf einer Intensivstation zu landen und einen der knappen Plätze einer anderen Person wegzunehmen, die ihn vielleicht nötiger hat.

 

Solche Statements machen mich wütend. Es ist eine Art „Erpressungs-Denken“, die ich sehr gefährlich finde. Es ist ein Denken, das einen auf eine Schwarz-Weiss-Ebene führt und differenzierte Gedanken ausblendet. Es wird ein Aspekt betont, den es gewiss gibt; zugleich aber werden viele andere Aspekte weggelassen. Zum Beispiel der Aspekt des Krankheitsbildes. Was tut eine Krankheit? Welche Gründe hat die Natur, Krankheiten zu „erfinden“? Gibt es ein „Recht“, krank zu sein? Oder der Aspekt der Heilung: Was bedeutet Heilung wirklich? Wie hängen körperliche und seelische Anteile zusammen? Was bedeuten Gleichgewicht und Balance in diesem Zusammenhang?

 

Wenn ich mir das vor Augen führe, sehe ich den Charakter dieses „Erpressungs-Denkens“. Es ist ein Schnellschuss-Denken. Es ist nicht das Ziel, verschiedene Aspekte umfassend zu beleuchten. Das Ziel ist vielmehr – wie das Wort selber ja schon sagt – einen schnellen und möglichst wirksamen Schuss abzufeuern, um den Gegner zu „erledigen“. Begebe ich mich auf diese Ebene, so gibt es in der Tat nur das, was es in allen Glaubensfragen immer gegeben hat, solange man sich auf dieser Ebene bewegt hat: Krieg. Sei es ein Krieg in Worten oder, wie früher, ein Krieg auf Leben. Zerstören tut er sowieso.

 

Ich habe den Artikel dann gelesen (Ihr findet ihn hier). Der Inhalt war sehr viel differenzierter, als es der Titel hätte vermuten lassen. Vermutlich hat der Redaktor einfach das Zitat herausgepickt, das am meisten gegen die Impf-Gegner verwendet werden konnte. Was vor allem deutlich wird, ist dies: das Gesundheitspersonal ist überlastet und war dies bereits lange vor Covid. Und: das Problem sind nicht zu wenig Plätze, sondern zu wenig qualifiziertes Pflegepersonal. Dies, so wird gesagt, ist ein Trend, der sich schon lange abzeichnet. 

 

Was lerne ich daraus? Für heute dies: schwarz-weiss-Denken zu meiden. Immer wieder die umfassende Ebene suchen. Und mich nicht beirren lassen von Schnellschüssen. Immer eine kugelsichere Weste bereithalten...