Schon als Kind haben mich indianische Kulturen angezogen. Als Junge erhielt ich ein Buch geschenkt: „Weisst Du, dass die Bäume reden“ von Käthe Recheis. Es enthält Poesie und Texte indianischer Autor*innen. Es begleitet mich bis heute.
Indigene in Nordamerika sprechen den Träumen eine grosse Bedeutung zu. Damit sind nicht nur die eigentlichen Träume gemeint, die wir in der Nacht haben, sondern auch Tagträume und Lebensträume. Was wir uns erträumen, ist für Indigene etwas Bedeutungsvolles. Es hängt mit unserem Wesen, mit unserer Aufgabe als Menschen zusammen. Es ist wichtig, dass die Menschen ihren Träumen nachgehen, damit sie sich verwirklichen.
Was für eine Welt erträume ich mir? In welche Richtung träume ich, dass sich die Gesellschaft entwickelt? Im indigenen Selbstverständnis sind das nicht schöngeistige Wohlfühlfragen, sondern eine wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung der Gesellschaft. Was nicht erst geträumt wird, kann nicht in die Realität übergeführt werden. In diesem Sinne leistet jede*r, der/die träumt, einen wichtigen Beitrag zum Weg, den eine Gesellschaft nimmt. Indigene sprechen von „Spirits“, die sich auf diese Weise einen Weg auf die Erde schaffen.
Ich muss in diesen Tagen oft an das denken. Mein Alltag ist voll von Dingen, die nicht geträumt werden: Zertifikate, Tests, Statistiken, Medienberichte und so weiter. Bewege ich mich auf dieser Ebene, so sind Stress und Ängste das Ergebnis. Nichts Kreatives kommt daraus hervor. Oder, im Sinne indigener Völker gesprochen: nichts Reelles kommt daraus hervor.
Soll eine stress- und angstfreie Realität entstehen, so soll, darf und muss sie erst geträumt werden. Ein unglaublicher Gedanke eigentlich...
Vielleicht – so denke ich gerade jetzt – ist das auch der Weg, um der Stress- und Angstebene zu begegnen. Wir begegnen dieser Stress- und Angstebene jeden Tag, ob wir es wollen oder nicht. Sie hat ja auch ihre Berechtigung und Wichtigkeit. Aber diese Ebene wird relativiert und erscheint in ganz anderem Licht, wenn die Ebene der Träume dazukommt. Jene Ebene der Träume, von der die Indigenen sagen, dass sie die Realität bildet.