Noch etwas zum Elefanten

Heute fand ich auf Social Media diesen Eintrag der kanadischen Pianistin Angela Hewitt:

 

A wonderful morning concert in Kartause Ittingen in Switzerland--a former Carthusian monastery that is now a conference centre, retreat, and contains a beautiful concert hall for 300 people. It was sold out, and everyone's vaccination status was checked at the door. After a good sleep in their lovely hotel rooms, I felt alert despite my demanding travel schedule and the concert was a huge success. Great to meet up with my Swiss friends as well! And meet many new people. It's so good to be out and about after months on end at home alone.

 

Übersetzt heisst das: Ein wundervolles Morgenkonzert in der Kartause Ittingen in der Schweiz - ein ehemaliges Kartäuserkloster, das jetzt ein Konferenzzentrum und Rückzugsort ist und einen wunderschönen Konzertsaal für 300 Personen besitzt. Es war ausverkauft, und der Impfstatus aller wurde am Eingang überprüft. Nach einem guten Schlaf in den schönen Hotelzimmern fühlte ich mich trotz meines anstrengenden Reiseplans munter, und das Konzert war ein voller Erfolg. Es war toll, auch meine Schweizer Freunde wieder zu treffen! Und viele neue Leute kennenzulernen. Es tut so gut, nach monatelangem Alleinsein zu Hause mal wieder unterwegs zu sein.

 

Ich musste an den Elefanten vom Wochenende denken. Natürlich ist es schön, dass wieder Konzerte stattfinden können. Aber Statements wie dasjenige von Angela Hewitt tönen, als ob "doch alles jetzt wieder gut" sei. Wir haben ja die Impfung, nicht wahr, und wir kontrollieren auch brav, und so können wir wieder unsere Konzerte haben.

 

Das macht mir Angst, um ehrlich zu sein. Und zwar darum, weil ich zu denjenigen gehöre, die den Elefanten im Raum jeden Tag wahrnehmen, ob sie es wollen oder nicht. Wo ist mein Platz in einer Gesellschaft, die jetzt einfach weitermachen will, als ob nichts geschehen wäre? Die die omnipräsente Kontrolle als "Tor zur Freiheit" einfach hinnimmt?

 

Und noch etwas zu meinem Eintrag gestern: eine Freundin brachte mir eine ganze Tasche voll mit Sachen: ein feiner Kräutertee, eine Konfitüre, viele Artikel über Menschen, die der Impfung und der Zertifikatspflicht kritisch gegenüberstehen, und eine wunderschöne Karte der Solidarität. Sie sagte zu mir mit einer gewissen Eindringlichkeit: "Es gibt mehr Menschen, die denken wie Du, als Du meinst. Du bist nicht allein." Sie hat recht. Neben dem Elefanten darf ich auch die Menschen nicht vergessen, die in diesem Raum sind. Vielleicht war auch am vergangenen Wochenende in so mancher Seele ein Bewusstsein davon, dass wir nicht vollzählig waren, und dass der Zustand weit entfernt von Normalität ist. Vielleicht viel mehr, als ich denke. Und vielleicht war der "schöne Schein" mehr ein Versuch, mit der traurigen Situation konstruktiv umzugehen, als ich das wahrgenommen habe. Niemand blickt in die Tiefen der Seelen...